Auf individuelle Förderung statt auf Tests konzentrieren (DPA-Gespräch im Januar 2005)

Münster (dpa/lnw) - Schulen in Deutschland sollten sich nach Expertenmeinung trotz der beeindruckenden Wirkung der PISA-Studien verstärkt auf individuelle Förderung statt auf Test-Rituale konzentrieren. «Bildung lässt sich nicht herbeitesten», sagte Prof. Friedrich Schönweiss, Erziehungswissenschaftler der Universität Münster, im Gespräch mit der dpa. «Kinder lernen ohnehin meist nur mit Blick auf die nächste Prüfung. Sollen sich nun auch die Schulen nur noch auf die nächsten nationalen oder internationalen Tests fixieren?»

«Unserem Bildungswesen hilft man nicht auf die Sprünge, wenn das Engagement von Lehrern und enorme Mittel in immer neue Vergleichstests gesteckt werden», kritisierte er. Die Mängel seien inzwischen zur Genüge dokumentiert, dennoch bleibe die Frage, wie die immer wieder zu Recht beschworene individuelle Förderung zum selbstverständlichen Bestandteil des Unterrichts gemacht werden könne. «Anstatt also in schöner Regelmäßigkeit unseren Schulen, Lehrern und Kindern vorzuhalten, dass sie sämtliche Erwartungen enttäuschen, sollen konkrete, umsetzbare Wege zur individuellen Förderung aufgezeigt werden.»

«Bildung lässt sich nicht über DIN-Normen erzwingen. Die heute geforderten Kompetenzen wie Selbständigkeit oder Problemlösefähigkeit verlangen einen Perspektivenwechsel, durch den vor allem die individuellen Stärken der Kinder in den Mittelpunkt gerückt werden müssten.» Nicht die Orientierung an einer vorgegebenen Norm, sondern die bestmögliche Förderung aller Kinder stehe auf der Tagesordnung.
Entscheidend sei, Fehler nicht zu stigmatisieren, sondern die darin enthaltene Denkleistung der Kinder anzuerkennen, forderte Schönweiss. Der Wissenschaftler entwickelte einen auf der Bildungsmesse «didacta» vorgestellten so genannten «Lernserver», mit dessen Hilfe Rechtschreib-Fehler rechnergestützt analysiert und Stärken und Schwächen eines jeden Kindes der Klassen 1 bis 6 genau ermittelt werden. Daraus werden individuelle wie auf gesamte Klassen bezogene Förderkonzepte abgeleitet. Auf diese Weise könnte differenzierte Förderung im Unterricht verankert und mit Test und Diagnose verknüpft werden. Die Resonanz der Schulen auf diese praktische Antwort auf Pisa sei überwältigend: Bereits mehrere hundert Schulen seien engagierte und kontinuierliche Nutzer des Lernservers der Uni Münster. Schönweiss möchte damit auch die Modernisierung der Hochschulen voranbringen: «Die Universitäten müssen sich verstärkt darum bemühen, gemeinsam mit Schulen und Lehrern, aber auch mit Eltern und Kindern zukunftsorientierte Wege aus der Bildungsmisere zu erschließen. »

Skeptisch beurteilte Schönweiss Tests und Bildungsstandards. «Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich durch die Orientierung an Standards vor allem Techniken in den Vordergrund drängeln, bei diesen Vergleichsstudien möglichst gut abzuschneiden. Tests werden so zum Selbstzweck, und die Vermittlung von Bildungsinhalten droht wieder einmal auf der Strecke zu bleiben.»
An die Bildungsminister gewandt, bietet Schönweiss an, die inzwischen für 30.000 Kinder vorliegenden Lernserver-Datensätze für eine differenzierte Auswertung zur Verfügung zu stellen. Auf dieser Grundlage ließen sich gezielte Förder- und Fortbildungsmaßnahmen für die unterschiedlichen Schulformen entwickeln.
dpa

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