„Wir haben keine Zeit zu verschwenden!“ – Das Rechtschreibproblem an den Grundschulen mit dem Lernserver in den Griff bekommen

Mangelnde Deutsch- und Mathekenntnisse, massive pandemiebedingte Lernlücken, Personalnot und Nachwuchsprobleme im Lehramtsstudium: Das sei nur die Spitze des Eisbergs, so der Bildungsforscher und Mediendidaktiker Professor em. Friedrich Schönweiss, der die Lern- und Leistungsentwicklung an den Grundschulen seit Jahrzehnten beobachtet. Gerade im Bereich Rechtschreibung laufe es seit langem schon nicht mehr rund; mit den zum Teil dramatischen Qualitätseinbußen im Basisbereich sei früher oder später unser gesamtes Bildungswesen gefährdet. Umso erstaunlicher sei es, dass seit Jahren praxisbewährte und schnell umsetzbare Unterstützungsangebote in dieser akuten Notlage nicht flächendeckend zum Einsatz kommen. Gemeint ist beispielsweise das Lernserver-Programm, das Lehrkräften nicht nur die aufwendige Förderdiagnose erspart, sondern auch individualisierte analoge und digitale Materialien für den Unterricht und das Selbstlernen zur Verfügung stellt.

Der Traum von einer inklusiven und integrativen Grundschule, in der multiprofessionelle Teams jedem Kind individuelle Förderung zukommen lassen, scheint in weite Ferne gerückt. Gerade im Primarbereich sind vielerorts nicht einmal mehr genügend Lehrkräfte im Einsatz, um den Regelunterricht abzudecken. Im niedersächsischen Wiefelstede wollte kürzlich eine Grundschulleiterin aus Personalnot gar eine Vier-Tage-Woche einführen. Die Problematik ist kein Einzelfall. Gleichzeitig wird der Nachwuchs rar: Die Zahl der Studienanfänger ist laut Statistischem Bundesamt eingebrochen, immer mehr Lehrerinnen und Lehrer arbeiten in Teilzeit oder verabschieden sich in den Ruhestand. Wie soll in einem solchen Szenario individualisierte Förderung möglich sein?

Dass Förderung im Kernfach Deutsch inzwischen nicht nur für Kinder mit einer diagnostizierten Lese-Rechtschreibschwäche (LRS), sondern flächendeckend nötig ist, zeigt unter anderem allerdings die im Oktober vergangenen Jahres veröffentlichte Studie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB).

„Die Studienergebnisse kommen für uns nicht überraschend“, erklärt der Münsteraner Bildungsforscher Friedrich Schönweiss. „Wir beobachten und analysieren die Situation insbesondere im Primarbereich seit über zwei Jahrzehnten. Den Bedarf an Rechtschreibförderung gab es damals bereits, allerdings hat sich die Situation enorm zugespitzt und hat sich zu einem bundesweiten Bildungsproblem ausgewachsen.“

Einzelne Lehrkraft kann Rechtschreiblücken nicht schließen

Die Ursachen dafür seien vielfältig, so Schönweiss weiter: „Gerade im Bereich der Rechtschreibung zeichnet sich mittlerweile leider eine Art Teufelskreis ab: Je seltener eigenständig gelesen und geschrieben wird, desto weniger kann die Anwendung von Rechtschreibregeln automatisiert werden. Gleichzeitig aber – und das ist das Paradoxe an der Sache – ist die praktische Bedeutung der Rechtschreibung nach wie vor außerordentlich groß! Zum Glück werden inzwischen endlich problematische, kontraproduktive Konzepte wie ‚Schreib wie du sprichst!‘ hinterfragt oder gar untersagt. Wobei ein Verbot natürlich wenig hilft, wenn nicht gleichzeitig vernünftige Alternativen angeboten werden.“ Durch die pandemische Situation seien außerdem weitere Belastungen und Lernlücken entstanden, die wiederum eine einzelne Lehrkraft, die alleine eine heterogene und voll besetzte Klasse unterrichten muss, nicht zu schließen vermag, so Schönweiss weiter. „Hier geht es um die weitere Schullaufbahn und auch die Lebensperspektiven ganzer Jahrgänge von Kindern. Wir brauchen sofort greifende Lösungen, statt weitere Zeit zu verschwenden!“

Lernserver: Wissenschaftlich fundiert – praxiserprobt

Innovative Wege, mit denen sich solche Lernlücken schließen lassen und dabei gerade die in der Praxis oft genug an ihre Grenzen kommenden Lehrkräfte zu unterstützen, hat der Pädagogikprofessor bereits vor 25 Jahren entwickelt. Damals übernahm Friedrich Schönweiss den Arbeitsbereich Neue Technologien im Bildungs- und Sozialwesen/Medienpädagogik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Gemeinsam mit einem interdisziplinären Team aus Sprachwissenschaft, Informatik, Pädagogischer Praxis und Lerntherapie erforschte Schönweiss, wie Rechtschreibfehler entstehen, was es braucht, um aus ihnen lernen zu können und welche Chancen dabei moderne Technologien bieten.

Aus dieser Arbeit ist unter dem Namen „Lernserver“ ein System entstanden, das computergestützte Förderdiagnostik und die Bereitstellung individualisierter Förderpläne und Förderübungen vereinte. Inzwischen ist der Lernserver über 700.000 mal zum Einsatz gekommen, mit Tools wie HP5-basierten interaktiven Lernmaterialien, aber auch Qualifizierungsinitiativen ergänzt worden, und erspart Lehrkräften enorm viel Zeit und Kraft. Geholfen werden konnte auf diese Weise schon einer großen Zahl von Kindern, die massive Schwierigkeiten mit der Rechtschreibung hatten und die ohne solche Unterstützung auf der Strecke geblieben wären.

Mit der Münsteraner Rechtschreibanalyse des Lernservers habe ich jetzt ein vernünftiges Diagnose-Tool gefunden, mit dem die Auswertung für uns Lehrkräfte sehr einfach funktioniert. 

„Ich bin ein großer Fan von individuellem Lernen“, sagt die Grundschullehrerin Nadja Laschet-Altmann. „Aber wenn ich in meiner dritten Klasse erst einmal feststellen müsste, ob ein Kind noch Probleme hat mit dem Stoff der zweiten Klasse, wäre das extrem aufwändig und dann müsste ich noch das Material für jedes einzelne Kind zusammentragen.“ Die Lehrerin, die an der Sankt-Michael-Grundschule in Wuppertal unter anderem Deutsch unterrichtet, arbeitet seit den Sommerferien mit dem Lernserver-Material. Kennengelernt hatte sie das Angebot aber bereits vorher: Eines ihrer eigenen Kinder hat im Zuge einer Lese-Rechtschreib-Therapie mit dem Material zuhause gearbeitet – mit sehr gutem Erfolg.

Ampelsystem für schnelle Einstufung

Auch an ihrer Schule sei das Thema Rechtschreibung ein großes Problem gewesen, erzählt Nadja Laschet-Altmann. „Mit der Münsteraner Rechtschreibanalyse des Lernservers habe ich jetzt ein vernünftiges Diagnose-Tool gefunden, mit dem die Auswertung für uns Lehrkräfte sehr einfach funktioniert“, so die Lehrerin. Die Kinder bekommen dazu einen Lückentest, den sie per Hand ausfüllen. Die Lehrerin gibt dann lediglich die Fehlschreibungen über ihr Endgerät in das Lernserver-System ein, das die Tests dann automatisch auswertet. Auf einen Blick lässt sich anhand der Ampelfarben erkennen, ob das Kind keinen beziehungsweise einen geringen, einen mittleren oder einen hohen Förderbedarf hat.

„Im ersten Schritt diagnostiziere ich mit dem Lernserver die gesamte Klasse. Das ist sogar kostenlos“, erklärt Nadja Laschet-Altmann. „Die Kinder mit mittlerem und hohem Förderbedarf durchlaufen dann noch einmal eine individuelle Diagnose und erhalten entsprechende Fördermaterialien, mit denen sie mindestens zweimal pro Woche arbeiten.“ Derzeit sind das etwa die Hälfte der Kinder ihrer Klasse.

Förderung für alle Niveaus – mit sehr gutem Erfolg

Das Tolle an den Lernserver-Aufgaben sei, so die Lehrerin, dass sie auf jedem Leistungsniveau so angelegt seien, dass die Schüler immer in der Lage sind, sie selbständig zu bearbeiten. „Sie haben immer das Gefühl, die Aufgaben seien einfach und bearbeiten sie deshalb auch gerne und ohne Frust. Das finde ich schön, dass das Material so selbsterklärend ist.“ Und auch lernstarke Kinder, die eigentlich sehr gute Noten haben, aber bei denen doch ein paar Rechtschreibfehler aufgetaucht wären, könnten mit dem Material rechtzeitig Lücken schließen, bevor diese sich vertiefen, sagt Nadja Laschet-Altmann. „Ich finde, auch diese Kinder haben schließlich ein Recht darauf, Fehlendes aufzuholen“, erklärt sie.

Dass ihre neue Methode Erfolg hat, zeigte bereits die erste Nachtestung: „Nach einem halben Jahr hatte die Hälfte der Kinder, die mit dem Lernserver arbeiten, ein extrem viel besseres Ergebnis“, freut sich die Lehrerin. „Man kann natürlich nicht alle retten, der Lernserver ersetzt ja auch keine LRS-Therapie, aber, ich finde, man kann damit unheimlich viel auffangen. Und wenn man schon nach so kurzer Zeit ohne viel Mühe bereits bei der Hälfte eine solche Verbesserung erzielt, dann hat man doch schon sehr viel gewonnen.“

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