RICHTIK LESN UND SCHRAeiBM LEANEN
Welches Kind möchte das nicht? Und welche Eltern freuen sich nicht über die ersten gekritzelten Botschaften und all den Eifer, mit dem sich ihre Kleinen an die Welt der Großen herantasten? Leider ist es keine Selbstverständlichkeit, dass diese Begeisterung von Dauer ist. Gründe dafür gibt es eine ganze Menge. Eltern, Erzieher oder Grundschullehrer können einiges dafür tun, dass diese Wissbegierde anhält und die Bildungsbiographie der Kinder harmonisch verläuft. Vor allem sollten sie eines bedenken: Das Hineinfinden in die Schriftsprache…
… ist alles andere als ein Kinderspiel.
Was einem Erwachsenen als selbstverständlich erscheinen mag – dass sich Sätze aufteilen, die gesprochenen Wörter in lauter einzelne Laute zergliedern und dann auch noch durch irgendwelche Zeichen abbilden lassen können sollen –, das alles ist eine Sicht auf Sprache, die für jedes Kind erst einmal einen prinzipiellen Blickwechsel in seinem bisher gewohnten Umgang mit ihr darstellt. Plötzlich muss es sich neben dem Inhalt wesentlich um dessen Form kümmern. Es genügt auf einmal nicht mehr, die Botschaft des Gesprochenen verstanden zu haben, sondern es muss sich gleichzeitig für das Gehörte oder das beim eigenen Sprechen Gespürte interessieren, es analysieren und mit einer vorgegebenen Menge an Symbolen und unterschiedlichsten Regelhaftigkeiten in Verbindung bringen.
Hat sich der kleine Schreiblehrling auf diesen Blickwechsel eingelassen, geht es freilich erst richtig los. So selbstverständlich und transparent sind diese Regelhaftigkeiten gar nicht, wie sie einem geübten Schreiber erscheinen mögen. Wer schon erinnert sich noch genauer an seine ersten Gehversuche mit der Schrift und all die Irrungen und Wirrungen, die damit verbunden waren? Oder an all die Rätsel, die einem zu schaffen machten, ohne dass man sich dessen so richtig bewusst war? Das ist eigentlich schade, denn die seinerzeit erbrachte Leistung lässt sich durchaus sehen. Sie, werter Leser, dürfen durchaus ein bisschen stolz darauf sein, was Sie damals alles hinbekommen haben. Sie mussten sich damit anfreunden, dass es eine große Bandbreite gibt, mit der unterschiedliche Laute von den gleichen Zeichen repräsentiert werden (beten – Betten). Sie hatten sich damit zu arrangieren, dass ähnlich klingende Laute völlig anders verschriftet werden (Vater – Sofa). Auch durften Sie sich nicht davon beirren lassen, dass man manche Laute zwar hört, diese aber nicht verschriftet (/Urzaeit/, /kompt/) und wieder andere überhaupt nicht zu hören sind, dennoch geschrieben werden müssen („Uhrzeit“ oder „beten“ > normal gesprochen als /betn/).
Genausowenig wie Sie seinerzeit können Kinder wissen oder gar hören, dass und wie sich die einzelnen Wörter buchstabieren lassen. Kein Mensch kann akustisch wahrnehmen, dass das „Fenster“ bei uns durch diese sieben Buchstaben repräsentiert wird. Erst mit dem Blick zurück, also durch den Rückbezug vom gewussten Schriftbild bzw. mit der Kenntnis von der bei uns gültigen Laut-Zeichenzuordnung und den Regelhaftigkeiten der deutschen Sprache im Rücken auf das gesprochene Wort kann man korrekt buchstabieren – eine Leistung, die einem dann so kinderleicht erscheint, wenn man denn die Prinzipien im Schulranzen hat. Es gilt also, Kindern auf eine Weise, die sie verstehen können, zu ebendiesem selbstverständlichen Umgang mit dem Codieren und Decodieren von Schriftsprache zu verhelfen.
Systematisches Fördern oder spielerisches Lernen?
Aus lauter Sorge, man würde Kindern die Lust am Schreiben nehmen, hat man sich hierzulande viel zu lange und viel zu oft von der Auffassung leiten lassen, es gäbe einen gleichsam in der natürlichen Entwicklung angelegten, ebenso automatischen wie autonomen Zugang zur Schrift, und Erzieher wie Eltern dürften die Kinder bei ihrem höchst geheimen Kreiseln um keinen Preis stören. Mit dieser verqueren Parteinahme für die Kinder schwindelt man sich aber über die objektiven Schwierigkeiten hinweg, die es nun einmal gibt – und verwehrt ihnen just jene Unterstützung, die sie bräuchten und die sie durchaus auch aufnehmen und verarbeiten könnten. Und dies auch wollen, schließlich sollen ihre kreativen Leistungen auch vom Empfänger gewürdigt werden können.
Kinder suchen doch nach Regelhaftigkeiten und wollen ernstgenommen werden, und warum sollte man sie nicht frühzeitig sanft und kindgerecht Schritt für Schritt an die nun einmal vorgefundenen Prinzipien heranführen können? Diese Ernsthaftigkeit sollte nicht mit sturem Pauken verwechselt werden, denn Schriftsprache ist durchaus einsehbar, sie hat zum Glück ihre Logik. Dabei gilt es, zwischen dem spielerischen Umgehen mit Sprache und einem allmählichen Verstehen vom Zusammenhang zwischen gesprochener und verschrifteter Sprache die Balance zu halten. Eine Bedingung dafür aber gibt es freilich: Kinder müssen Fehler machen dürfen, auf welcher Stufe des Schriftspracherwerbs auch immer sie sich befinden! Wenn gemeinsam mit den Kindern ihr kreatives Herantasten an Sprache als eine echte Leistung und damit als Informationsquelle über Verstandenes und Nichtverstandenes begriffen wird, ist dies die beste Gewähr dafür, dass ihre ursprüngliche Begeisterung für Bildung erhalten bleibt.
Lernserver-Primo
Teil 1 Gruppen- und Einzeltest
- Inhaltsverzeichnis
- S. 4-8 (Wie wichtig ist der Anfangsunterricht? Punkte a) bis d))
- S. 9-14 (Beschreibungen der Tests, Hinweise zur Durchführung)
- S. 16 (Gruppentest, Auszug)
- S. 25 (Auswertungsbogen Gruppentest)
- S. 29 (Einzeltest; Leitfaden, Schülerbogen)
- S. 61; 72 (Auswertungsbogen: "Gliedern von Wörtern in Silben" und "WA lesen und schreiben")
Lernserver-Primo
Teil 2 Fördermaterialien
- Inhaltsverzeichnis
- S. 7-8 (Hinweise und Anregungen)
- S. 28-29; 31-33; 44; 51/52; 65-67; 126-127 (Tipps, Übungen, Spiele)
- S. 133 (a-Löwe)
- S. 150 (Bildkärtchen zum Kopieren)
- S. 183, 197, 205, 207, 209 (Arbeitsblätter)
Prof. Dr. Friedrich Schönweiss ist Professor für Bildung und Neue Medien an der Universität Münster. Zusammen mit seinem Team hat er u.a. den Lernserver entwickelt, mit dem er dazu beitragen möchte, dass die Kinder genau dort gefördert werden können, wo sie es brauchen.
Für eine gezielte Förderung im Anfangsunterricht wurde soeben Lernserver-Primo („Erstes Lesen und Schreiben“) vorgelegt.
Siehe auch: